Für mehr als zwei Drittel aller vorzeitigen Abgänge von Milchkühen sind laut Shearer (2007) Klauen -und Gliedmaßenerkrankungen verantwortlich. Damit dürfte der Arbeitsschwerpunkt Nr. 1 auf einem Milchviehbetrieb feststehen. Ohne Fundament steht kein Haus, ohne gesunde Klauen kein Betrieb.
Zweimal pro Jahr eine Klauenpflege bei Milchkühen durchzuführen ist eine Weisheit, die bereits 1895 bekannt gewesen ist. Sie ist also nicht unbedingt der Ausdruck eines modernen Managements der Klauenpflege.
Im Gegenteil, diese Vorgehensweise berücksichtigt nicht, dass wir mittlerweile ganz andere Kühe im Stall stehen haben, deren Milchleistung 4-5 mal so hoch ist und die Haltungsbedingungen gänzlich andere sind, als vor 120 Jahren. Diese Umstände erfordern eine andere Herangehensweise, um Lahmheiten bei Kühen vorzubeugen.
Um die Lahmheiten in einer Kuhherde entscheidend zu reduzieren sind zwei Dinge von außerordentlicher Wichtigkeit: Bedarfsorientierte, funktionelle Klauenpflege und die sofortige Behandlung lahmer Kühe.
Leider fehlt es auf vielen rindviehhaltenden Betrieben an der Zeit und am notwendigen Know-how für diese wichtigen Dinge.
Um die Neuerkrankungsrate entscheidend zu senken, müssen die Ursachen hierfür erkannt und abgestellt werden. Dazu bedarf es ausreichender Erfahrung und das Wissen um diese Ursachen.
Die Haut, und zu ihr zählt auch der Hornschuh der Klaue, ist der Schutzpanzer des Körpers gegen die eigentlich sehr lebensfeindliche Umwelt. Viren, Bakterien, Pilze und andere Mikroorganismen versuchen ständig einzudringen. Die gesunde Haut kann diese Lebensfeinde sehr gut abwehren und unschädlich machen.
Wenn jedoch aufgrund von Störungen der Hornproduktion oder durch chemische/physikalische Zersetzung dieser Schutzwall löchrig wird, können Mikroorganismen eindringen und die Haut oder das Horn weiter zersetzen. Gelangt dieser Zerstörungsprozess bis an die Lederhaut, wo der Gabentisch aufgrund der vorhandenen Blutgefäße reichlich gedeckt ist, entstehen Entzündungen und Erkrankungen.
Drei Hauptursachen-Komplexe lassen sich aufgrund praktischer Erfahrungen und Stand der Wissenschaft ausmachen: Systemische Störungen, physikalisch-traumatische Einwirkungen und chemisch-physikalische Zersetzung. Alle drei Komplexe sind bei der Entstehung von Klauenerkrankungen und damit von Problemen auszumachen und bedürfen daher der genauen, fachmännischen Analyse.
Die Haut ist das Spiegelbild der Seele -diesen wichtigen Satz kennt jeder Dermatologe und richtet sich danach. Stress in jeder Form, das weiß man selbst zur Genüge,
beeinträchtigt die Seele. Auch die „Seele" der Kuh. Die Hauptursachen-Komplexe lassen sich als Stressfaktoren auffassen und spiegeln sich im Auftreten von Klauenerkrankungen wieder. Daneben
treten weitere, für die Kuh bedeutsame Stresseinflüsse, wie beispielsweise Sozial- oder Klimastress.
Stress ist der Startpunkt für Klauenprobleme auf Betrieben mit Rindern. Ihn zu erkennen, einzuordnen und zu gewichten ist der Kern zur Lösung dieser Probleme. Hierzu braucht man viel
Wissen und Erfahrung,
1 . Stoffwechsel
Zur Produktion von gesundem und funktionsfähigem Horn benötigen die Zellen der hornbildenden Schicht eine adäquate Versorgung durch die Lederhaut mit Nährstoffen und Sauerstoff. Ist diese Versorgung mit den drei Grundbausteinen, den Fetten, Eiweißen und Kohlenhydraten, aber auch mit Spurenelementen wie beispielsweise Zink oder Kupfer, nicht ausreichend gewährleistet, treten Hornbildungsstörungen auf. Daher haben die Fütterung und Stoffwechsel-Imbalancen einen hohen Stellenwert bei der Entstehung von Klauenerkrankungen.
Die drei wichtigen Stoffwechselerkrankungen, die Ketose/Leberverfettung, die Pansenazidose und die Hypokalzämie (Milchfieber) wirken sich auch
immer negativ auf die Klauengesundheit aus. So führt die Ketose/Leberverfettung, deren Hauptsymptom die übermäßige Mobilisation von körpereigenen Fettreserven ist, zu einer
Einschmelzung des Fettpolsters im Ballen der Klaue. Das Fettpolster dient als "Federkissen" zum Schutz der Lederhaut. Verschwindet diese Schutzschicht, kann es aufgrund von Quetschungen durch den
Beugeknorren zu Durchblutungsstörungen an diesem typischen Druckpunkt kommen. Die Folge ist eine punktuelle Hornbildungsstörung, die das Eindringen von Bakterien ermöglichen kann. Es entsteht ein
Rusterholz'sches Sohlengeschwür.
Die Pansenazidose resultiert in ihrer Gesamtauswirkung in einer Durchblutungstörung der Klauenlederhaut. Über die Gesamtheit der Klaue treten damit Verhornungsstörungen auf. Dieser Zustand wird als Klauenrehe bezeichnet. In der Folge können Sohlengeschwüre und Wandeläsionen auftreten. Zudem wird auch durch die Pausenazidose die Synthese des für gesundes Horn wichtigen Biotins gestört. Dies resultiert in der Bildung minderwertigen Horns mit den bereits beschriebenen Folgen.
Zwar ist die Hypokalzämie (Kalziummangel; Milchfieber) eher nicht direkt an der Entstehung von Klauenerkrankungen beteiligt. Doch zeigen neuere wissenschaftliche Untersuchungen eine enge Verknüpfung mit dem Fettstoffwechsel. Hypokalzämie kann daher auch als Schlüsselerkrankung aufgefasst werden, welche die Kuh zum Beginn der Laktation ins straucheln bringt und das Risiko für andere Stoffwechselstörungen deutlich erhöht.
Alle drei Stoffwechsel-Erkrankungen beeinträchtigen auch mehr oder weniger stark das Immunsystem. Hieraus ergibt sich eine erhöhte Anfälligkeit der betroffenen Tiere für Infektionen. Die damit vermehrt auftretenden Entzündungen der Gebärmutter und des Euters stellen nicht nur einen wirtschaftlichen Verlust dar, sondern auch eine Gefahr für die Klaue dar. Insbesondere dann, wenn E.coli- Bakterien beteiligt sind. Das von diesen Erregern produzierte Endotoxin kann über die Blutbahn zur Klauenlederhaut gelangen und dort eine Klauenrehe auslösen. Die Immunsuppression beinhaltet aber auch direkt im Bereich der Klaue eine gesteigerte Anfälligkeit für infektiöse Klauenerkrankungen wie Mortellaro oder Panaritium.
2 . Die Kalbung
Der Zeitraum um die Kalbung herum (Peripartus) beinhaltet an sich schon ein gesteigertes Risiko für die Entstehung von Klauenerkrankungen. Nicht nur aufgrund des geballten Auftretens von Stoffwechselstörungen und Immunsuppression mit den oben bereits beschriebenen Auswirkungen. Auch unter der Häufung von weiteren Stressmomenten leidet die Klauengesundheit, wie Sozialstress durch Eingliederung in neue Tiergruppen, bei Färsen der völlig neue Vorgang des Melkens, Schmerzen durch die Geburt oder gar Geburtsverletzungen; gesteigerte oxidative Last und erhöhte Endotoxinspiegel im Blut, aber auch schwere Erkrankungen wie Labmagenverlagerungen treten auf. All diese Ereignisse führen mittelbar oder unmittelbar zu Erkrankungen der Klaue.
Ein besonderes peripartales Phänomen dürfte für Quetschungen der Lederhaut und damit verbundenen Produktion minderwertigen Horns sowie den daraus entstehenden Sohlengeschwüren und Wandläsionen hauptverantwortlich sein: Durch Einwirken bestimmter Enzyme, den Metalloproteinasen, wird der Halteapparat des Klauenbeins gelockert und aufgelöst. Das Klauenbein sinkt Richtung Boden und quetscht so vermehrt die Lederhaut.
3. Die Klaue
Unter diesem Stichwort subsumieren genetische und klauenpflegerische Einflüsse. Zwar weisen die meisten Untersuchungen nur geringe Erblichkeitsgrade für Klauenerkrankungen nach, doch dürften hier oft Umwelteinflüsse die Ergebnisse erheblich verfälscht haben. Studien, welche diese Herdeneinflüsse weitgehend ausgeschaltet haben, zeigen größere Heritabilitäten, die eine züchterische Bearbeitung einiger Klauenerkrankungen lohnenswert machen.
Fehler im Klauenpflege-Management können das Auftreten von Klauenerkrankungen erheblich forcieren. Ein nicht individuell auf die Kühe abgestimmtes Klauenpflegeintervall bedeutet ein zu spätes Reduzieren des Überwuchses der Belastungsklauen vieler Kühe und damit erhöhte Quetschgefahr der Lederhaut. Sohlengeschwüre und Wandläsionen sind die Folge. Eine Schiefstellung der Klauenebenen zum Zwischenklauenspalt hin ergibt Instabilität. Weiße-Linie-Defekte und Panaritium sind vorprogrammiert.
Daher ist die Durchführung der Klauenpflege durch einen gut ausgebildeten und versierten Klauenpfleger von enormer Wichtigkeit! Eine funktionelle Klauenpflege nach Elastischem Modell reduziert nachweislich signifikant das Auftreten neuer Lahmheiten.
Physikalisch-traumatische Ursachen von Klauenerkrankungen
Unnatürlicher Druck, der von außen auf die Klaue einwirkt, birgt auch immer die Gefahr von Belastungen der Lederhaut in sich. Druck auf oder gar Quetschungen der Lederhaut bedeuten Durchblutungsstörungen und damit Bildung minderwertigen Horns. Mit der Haltung von Milchkühen in modernen Boxenlaufställen, die gegenüber der früheren Haltung im Anbindstall mit saisonaler Weidehaltung eine Fülle von Vorteilen für Mensch und Tier mit sich gebracht hat, ist unnatürlicher Druck durch die planen und harten Laufböden per se und permanent gegeben. Daher sind die physikalisch-traumatischen Ursachen in jedem Betrieb mit Klauenproblemen ein wichtiger Faktor, der unbedingt große Aufmerksamkeit verdient. Die Liegeboxen und die Laufgänge sind deswegen besonders zu berücksichtigen.
1. Liegebox
Der Ausgestaltung der Liegeplätze für die Tiere kommt in Hinsicht auf die Klauengesundheit eine zentrale Bedeutung zu. Wenn diese schlecht gestaltet oder in nicht ausreichender Zahl vorhanden sind, können Kühe nicht ausreichend lange liegen. Wenn Kühe nicht liegen, stehen sie und belasten unnötig ihre Klauen. Je Stunde unnötig längeren Stehens ist mit einer Erhöhung der Lahmheitshäufigkeit um den Faktor 2,5 und einer Minderung der Milchleistung um durchschnittlich 1,7 Litern zu rechnen. Allein diese Zahlen belegen schon die Wichtigkeit einer guten Liegebox.
Für die Kuh sind zwei Fragen von zentraler Bedeutung: lst die Liegefläche weich und eben, kann der Abliege- und Aufstehvorgang ohne störende Hindernisse bewerkstelligt werden. Hinsichtlich der Liegefläche steigt die Akzeptanz in aufsteigender Reihenfolge: Hochbox ohne Auflage oder Einstreu, Tiefbox mit sehr wenig oder keiner Einstreu, Hochbox mit Auflage oder Einstreu, Hochbox mit Weichbett-Auflage, Tiefbox mit ausreichend dicker und gefestigter Einstreumatte oder Sand. Die Vorteile der letzten Variante sind derartig groß, daß ihr möglichst der Vorzug zu geben ist.
Bei der Frage des Hinlegens und Aufstehens sind folgende Punkte relevant: Schwungraum für den Kopf, Hindernisse im Bugbereich, Höhe und Position des Nackenrohres, Länge der Liegefläche und der gesamten Box, Breite der Liegebox. Bereits geringe Abweichungen von den optimalen Maßen der Liegebox können gravierende Folgen für die Kuh und ihre Klauen haben. In den Ruhezeiten der Herde, beispielsweise zwei Stunden nach der Hauptfütterung, sollten deutlich weniger als 10% der Kühe unproduktiv stehen. Tiere, die in der Liegebox stehen, geben ein deutliches Signal: Eigentlich möchten wir uns hinlegen, deswegen sind wir zur Liegebox gegangen. Weil aber die Box derartig schlecht ist, bleiben wir solange stehen, bis der Druck in den Klauen nicht mehr auszuhalten ist.
Kompromisse in der Liegebox sind aus vielen Gründen nicht akzeptabel. Wir helfen Ihnen, aus Kompromissen saubere Lösungen zu machen.
2 . Laufböden
Wenn die Klauen der Kühe regelmäßig im richtigen Intervall einer guten funktionellen Klauenpflege nach Elastischem Modell unterzogen werden, stellen die Laufböden moderner Ställe, sofern sie fachgerecht erstellt wurden und nicht altersbedingt zu stark abgenutzt sind, kein großes Problem dar. Doch sobald der Boden uneben wird, oder gar brüchig ist und scharfe oder spitze Vorsprünge aufweist, besteht Gefahr für die Klauen. Denn dann kann punktuell ein starker Druck in der Sohle auftreten, der zu Quetschungen der Lederhaut und damit zur Bildung minderwertigen Horns führt.
Auch stark abrasiver Boden, wie neuer Beton und schlecht hergestellter oder alter Gußasphalt, stellen eine Gefährdung der Lederhaut dar. Durch den extremen Abrieb werden die Sohlen schnell zu dünn. Die Schutzfunktion für das Klaueninnere geht verloren, die Lederhaut kann verletzt werden. Ähnlich sieht es mit rutschigen, nicht trittsicheren Böden aus. Werden dann die Kühe auch noch scharf getrieben, sind serienmäßig Wandläsionen und Sohlengeschwüre vorprogrammiert. Besonders auf sogenannten Rautenmuster-Böden ist dies der Fall. Hinsichtlich der Klauengesundheit sind diese äußerst kritisch zu betrachten, zumal sie auch noch extrem schlecht zu reinigen und trockenenzuhalten sind. Wie sich ein solcher Zustand des Bodens negativ auf die Klauengesundheit auswirkt, wird im nächsten Kapitel ausführlich beschrieben.
Wir helfen Ihnen dabei, die Schwachstellen in der Haltung Ihrer Kühe aufzudecken und diese zu beseitigen.
Chemisch-physikalische Zersetzung des Horns
Im dritten wichtigen Ursachen-Komplex für minderwertiges Horn ist die Zersetzung der Horn-Matrix durch Chemikalien und die Aufweichung durch Feuchtigkeit zu betrachten. Vom Standpunkt der Klauengesundheit her liegt im modernen Boxenlaufstall ein großer Systemfehler vor. Nämlich der, daß die Klauen der Tiere ständig deren eigenen Ausscheidungen ausgesetzt sind. Diesen Systemfehler gilt es zu minimieren, denn Gülle ist feucht und enthält große Mengen zersetzender Substanzen wie Ammoniak und Schwefelwasserstoff. Je weniger die Klaue der Gülle ausgesetzt ist, um so geringer ist der Zersetzungsprozeß und damit das Problem der Klauenerkrankungen.
Die Bemühungen zur Verringerung beginnen bereits beim Stallbau. Spaltenböden mit Abschubrobotern sind besonders vorteilhaft. Bei planbefestigten Böden sind Unebenheiten, in denen sich Gülle sammeln kann, unbedingt zu vermeiden. Die Abschubwege sollten hier nicht größer als 30 m sein, da sonst eine zu große Güllewelle die Klauen regelmäßig umspült. Auch Übergänge und Treibwege müssen ständig und gewissenhaft von Gülle freigehalten werden.
Bei den Überlegungen, den Kontakt der Klauen mit der Gülle zu minimieren, spielen die Liegeboxen wieder eine große Rolle. Länger stehende Kühe belasten nicht nur ihre Lederhaut, sondern setzen die Klauen auch länger den schädigenden Einflüssen der Gülle aus. Hinzu kommt, daß bei nassen, schlecht gepflegten Liegeboxen die Klauen auch im Liegen den negativen Einwirkungen ausgesetzt sind.
Ein gutes Hilfsmittel gegen den Zersetzungsprozeß durch die Gülle stellen Klauenbäder dar. Die Aufgabe der Klauenbäder liegt dabei weniger in der Desinfektion als in der Vermeidung des Aufquellens der Hornschichten durch Ammoniak und Feuchtigkeit. Das Resultat ist deutlich geringer zersetztes Horn, gerade auch im Ballenbereich. Wie Laboruntersuchungen zeigen, wird dieses Ziel sehr gut mit Formaldehyd (Formalin) und Kupfersulfat erreicht. Daher sollte diesen Wirkstoffen der Vorzug gegeben werden.
Wir beraten Sie gerne beim sinnvollen Einsatz von Klauenbädern!