Stellen Sie sich vor, wir würden unsere Kinder bis zum 18. Lebensjahr in den Wald schicken und sich selbst überlassen. Dann würden wir sie wieder herausholen und von ihnen verlangen, ihr Abitur zu schreiben. Würde das funktionieren?
Warum machen wir dann genau dieses mit unseren Kälbern?
Zwei Jahre lang werden sie stiefmütterlich in alten Ställen eher gehalten als aufgesogen. Und dann reibt man sich verwundert die Augen, warum die Färsen nicht ihr volles Milchleistungspotenzial abrufen, zwei Drittel mit Euterentzündungen in die erste Laktation starten und ein Drittel von ihnen gar nicht erst in die zweite gelangen, weil sie schon am Schlachthaken hängen.
Auf dem Betrieb von Dr. Klindworth ist es gelungen, durch gezielte Veränderungen der Kälber- und Jungviehaufzucht die hochgerechnete 305-Tage-Leistung binnen zwei Jahren um rund 3.000 kg (!) Milch zu steigern. Gleichzeitig lag die durchschnittliche Zellzahl dauerhaft bei 50.000!
Die ersten Lebenswochen eines Kalbes sind besonders entscheidend für die spätere Leistungsfähigkeit als Milchkuh oder Mastbulle. In dieser Zeit wird die spätere Größe und damit die Leistungsfähigkeit der meisten Organe definiert. Eine Leber, die aufgrund von Entwicklungsstörungen nicht ihre potentielle Größe erreicht, ist dauerhaft in ihrer Funktion beeinträchtigt. Sie wird später nicht die volle Menge an Glukose zur Milchbildung synthetisieren können. Und sie wird später deutlich anfälliger für Ketose/Fettleber sein.
Verbesserungen der Kälber- und Jungviehaufzucht sind immer mit deutlichen Steigerungen der Laktation- und Lebenstagsleistungen verbunden. Sie sind aus betriebswirtschaftlicher Sicht eine äußerst wichtige, wenn nicht gar unumgängliche Investition in die Zukunft eines Betriebes.
Durchfall- und Atemwegserkrankungen sind die Hauptverursacher von Entwicklungsstörungen bei Kälbern. Sie lassen sich im wesentlichen auf drei Erreger-Kategorien zurückführen: Viren, Bakterien und Parasiten. Dabei sind nicht selten Mischinfektionen zu finden. Doch die Ursache für die Erkrankungen allein am Erreger fest zu machen, ist zu kurz gedacht. Der Erreger ist nichts, die Umwelt ist alles; dies hat schon Pasteur goldrichtig erkannt. Es sind bei Problemen mit Kälberkrankheiten immer eine Reihe von Fütterungs- und Haltungsfehler auszumachen, welche die Infektionen, und dann vor allem die Entstehung von Erkrankungen bei Kälbern überhaupt erst ermöglichen. Wie stark ist das Immunsystem und damit die allgemeine und spezifische Erreger-Abwehr aufgestellt; das ist, wie so häufig in der Rindergesundheit, die alles entscheidende Frage.
Stressfaktoren jeglicher Art beeinträchtigen das Immunsystem. Stress entsteht dann, wenn das Tier (oder auch der Mensch) sich nur mit erheblichen Aufwand auf Umwelteinflüsse jedweder Genese einstellen kann und durch die Anpassungsprozesse in Mitleidenschaft gezogen wird. Diese Mitleidenschaft schwächt immer und vor allem das Immunsystem.
Nun ist das Leben an sich nichts anderes als ein permanenter Anpassungsprozess an die Umwelt. Die Kunst ist es daher, jene Einflüsse zu finden, die erhebliche Anpassungsschwierigkeiten bereiten und damit wesentlich zum Krankheitsgeschehen, im vorliegenden Fall bei Kälbern, beitragen.
Durch Untersuchungen konnte man beispielsweise nachweisen, dass Kälber aus Schwergeburten ein deutlich schwächeres Immunsystem aufwiesen und damit deutlich mehr und schwerer erkrankten als solche aus problemlosen Kalbungen. Nur eine halbe Stunde Transport führte dazu, dass die Tiere noch Wochen später wegen der Schwächung des Immunsystems deutlich häufiger erkrankten als nicht transportierte Kälber. Das ohnehin noch nicht voll entwickelte Immunsystem des Kalbes reagiert also bereits auf kleinste Störungen sehr empfindlich.
Eine Infektionskrankheit läßt sich bildlich auch als Balanceakt, als eine Waage darstellen. Auf der einen Waagschale die Abwehrkraft, das Immunsystem des Tieres, auf der anderen der Erregerdruck, die Stressfaktoren. Ist die Abwehr gut aufgestellt, senkt sich die Waage zugunsten des Tieres, der Gesundheit. lst sie jedoch schlecht aufgestellt, gewinnen die Erreger.
Der gleiche Effekt tritt aber auch auf, wenn der Erregerdruck und die Stressfaktoren verringert werden. Daher ist es schon wichtig und richtig ein gutes Kolostrum-Management zu fahren. Doch ist es ein großer Fehler, es allein hierbei zu belassen.
Erst wenn Erregerdruck und Stressfaktoren minimiert werden, lassen sich Kälberkrankheiten erfolgreich und nachhaltig bekämpfen. Denn ob nun 2, 3 oder 4 Liter Kolostrum innerhalb der ersten 3 oder 6 Stunden in das Kalb gelangten, es relativiert sich schnell, wenn ein hoher Erregerdruck diesen endlichen Antikörper-Pool zügig verbraucht.
Aufgrund der Vielfalt von möglichen Stressfaktoren und betriebsindividuellen Managementfehlern lassen sich keine allgemeingültigen Empfehlungen aufstellen. Jeder Betrieb muß seine eigene Strategie entwickeln, um Kälberkrankheiten wirkungsvoll zu verhindern. Wir helfen Ihnen dabei, sinnvolle und umsetzbare Strategien zu entwickeln.